Wird Robert Habeck Kanzlerkandidat?

Die Grünen lösen die SPD als Volkspartei der linken Mitte ab. Bald können sie einen Kanzlerkandidaten nominieren. Die Chancen von Robert Habeck auf eine grün-rot-rote Regierungsoption steigen. Das Projekt heißt GR2.

Robert Habeck ist ab sofort ein Kanzlerkandidat. Das Wort ist ihm selbst noch unheimlich. Doch die Kraftfelder der Republik haben sich so verschoben, dass eine neue Hierarchie des Politischen formiert wird. Nicht erst mit dieser Europawahl vollzieht sich ein historischer Stabwechsel: Die Grünen sind dabei, die SPD als Volkspartei der linken Mitte abzulösen. Für die SPD gerät die Ausrufung eines Kanzlerkandidaten mit 15 Prozent Wählerzustimmung zusehends zur Groteske. Für die Grünen dagegen wird es von einem gewagten Gedankenspiel langsam zur ernsten Option.

Die Vorstellung eines Kanzlerkandidaten Habeck wächst deswegen zur Realitätsreife, weil der Grünen-Chef hohe Popularitätswerte hat und als klare Gegenfigur zum versteift Großkoalitionären wahrgenommen wird. Vor allem aber gibt es plötzlich eine echte, wenn auch noch ungewohnte Machtoption: Grün-Rot-Rot. Ein grüner Kanzler Habeck könnte nach der kommenden Bundestagswahl eine Regierung aus Grünen, SPD und Linken formieren. Und so formuliert Habeck zunehmend staatsmännisch. „Wir wissen, dass wir mit dem Ergebnis den Auftrag bekommen haben, eine orientierungsgebende Kraft zu sein“, verkündet er und stellt fest: „Wir sind ins Zentrum der politischen Debatte eingerückt.“

Für die neue Option gibt es auch schon ein griffiges Kürzel in linken Kreisen: „GR2“. Bislang war der Vereinigungstraum zum Linksbündnis Rot-Rot-Grün, kurz R2G, genannt worden. Seit Jahren treffen sich Vertreter der drei Parteien, um darüber zu diskutieren. Bei den Enteignungsideen von Kevin Kühnert gab es bemerkenswerten Applaus von Spitzengrünen. Für die Linksbündnis-Befürworter in den drei Parteien ist darum die Koalitionsbildung in Bremen von symbolischer Bedeutung.

Auch auf Bundesebene gibt es gute Beziehungen von Grünen-Chefin Annalena Baerbock zur Linken-Chefin Katja Kipping. Zudem ist durch den Rückzug von Sahra Wagenknecht dort das Interesse an einem regierungsfähigen Linksbündnis gewachsen. Der Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, ist zwar noch skeptisch, macht sich aber bereits laute Gedanken um GR2 unter einem Bundeskanzler Habeck. Er glaube nicht, dass die Werte der Grünen im regulären Bundestagswahljahr 2021 noch so gut sein werden, dass es zu dieser Option wirklich kommt. Doch mit jeder Wahl und jeder Umfrage, in denen die Grünen stark bleiben, wird es wahrscheinlicher.

Wünsch-Dir-Was-Weltverbesserer-Wohlfühl-Bonus

Die GR2-Perspektive hat allerdings auch Tücken für die Grünen. Robert Habeck flirtet zuweilen mit der Arroganz und ein Kanzlerkandidaten-Mäntelchen könnte ihn als vollends abgehoben wirken lassen. Er weist darum am Tag nach der Europawahl die Frage nach der Kanzlerkandidatur weit von sich – sie sei „überflüssig“. Das tut Habeck auch deswegen, weil er mit dem Moment, da die Grünen als mögliche Kanzlerpartei wahrgenommen würden, ihren oppositionellen Wünsch-Dir-Was-Weltverbesserer-Wohlfühl-Bonus verlören. Dann wüchsen auch die Erwartungen: Was kostet die grüne Rettung des Klimas wirklich? Wer müsste die Zeche zahlen? Wie hoch können Strompreise für eine Energiewende noch steigen? Findet eine Offen-Tor-Migration wirklich Akzeptanz? Was bedeutet das für die innere Sicherheit, für Identität und politische Stabilität im Land? Je konkreter die Grünen ihre Projekte durchdeklinieren müssten, desto mehr Interessen würden sie verletzen. Allein die aufkommende Debatte um GR2 könnte bürgerliche Neuwähler der Grünen rasch wieder verschrecken.

Die zweite Problematik für die Grünen besteht darin, dass sie für eine Kanzlerkandidatur ihre Doppelspitze auflösen und eine machtpolitische Entscheidung fällen müssen, also gegen Annalena Baerbock und für Robert Habeck.

Das größte Problem bei GR2 ist jedoch die SPD. Die stolze Sozialdemokratie müsste sich in die Rolle eines Juniorpartners fügen. Allerdings hat sie das bereits bei Landesregierungen in Baden-Württemberg (unter grüner Führung) und Thüringen (unter Linken-Führung) akzeptiert. Und einen besseren Kandidaten als Habeck hat die SPD derzeit nicht. Olaf Scholz ist zu introvertiert, Kevin Kühnert zu links, Malu Dreyer zu pfälzisch, Stephan Weil zu spröde, Martin Schulz wie Sigmar Gabriel zu gestrig – und Andrea Nahles ist am Ende.

Quelle: The European

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