Die Premiere von Dmitri Schostakowitschs Oper “Lady Macbeth von Mzensk” in Salzburg ist in der Opernwelt ein großer Erfolg. In der politischen Welt ist die Oper ein feines Fanal für Widerständigkeit gegen Despoten. Eine Rezension zur Premiere.
Diese Premiere kann man auf dreifache Weise sehen: mit dem Opernglas, mit der Gender-Brille oder durchs politische Zielfernrohr.
Der erste operngeschulte Blick ist funkelnd. Da kann Salzburg strahlen. Für reine Opernfreunde ist die Neuproduktion ein großartiges Sommerspektakel. Kritiker werden sich in Lobeshymnen mit guten Argumenten überschlagen. Die einen werden vor dem Dirigenten Mariss Jansons und seinen Wiener Philharmonikern niederknien. Es werden Worte wie „exzellent“ und „meisterhaft“ und „phänomenal“ und „grandios“ und „charaltervoll“ und „differenziert“ und „erhaben“ und „raffiniert“ und „facettenreich“ fallen. Das Publikum war von seinem ersten Operndirigat in Österreich zu Recht begeistert.
Die anderen werden die Inszenierung von Andreas Kriegenburg preisen, diese XXL-Kinoleinwand aus Plattenbau-Hinterhof und intimen Schubladenwelten. Der Abend darin wird zum hyperrealistischen Rausch, zum flirrenden Psychothriller, bei dem schon mal das ganze Weltbild zum Zittern kommt. Beeindruckend ist vor allem wie fein abgestimmt Farbe und Form, Musik und Bewegung, Gesang und Spiel ein theatralisches Ganzes formt. Kriegenburg gelingt es dabei, die inneren Brüche der Oper und ihrer Musik auch ins Bild zu setzen. Ein Glücksfall im Zusammenwirken von musikalischer Leitung und Regie. Orchester wie Inszenierung leben den doppelbödigen Charakter dieser „Tragödien-Satire“ aus. Immer wenn es zu kitschig werden könnte oder zu dramatisch oder zu makaber, findet diese Inszenierung eine augenzwinkernde Entlastung. Das Spiel mit dem Bedeutungsschwangeren wird gebrochen und die Inszenierung wirkt in seiner Kinohaftigkeit zeitweise wie ein Counterpart zu Lalaland.
Wieder andere werden die Besetzung feiern, vor allem die Russenriege Dmitry Ulyanov (als Boris), Maxim Paster (als Sinowi) und Brandon Jovanovich (als Schürzenjäger Sergej) bis hin zu den Nebenrollen bietet Rezensenten die Gelegenheit zur Verwendung von Champions-League-Vokabular. Bei Nina Stemme wird kein Kundiger das Gesangliche kritisieren, das Habituelle vielleicht schon. Denn als Person nimmt man ihr weder das Vulgäre noch das Lustgierige noch das Mörderische oder Monströse ab. Sie ist kein Lendenluder und noch weniger eine voran mordende Lady Macbeth. Sie wirkt auf dieser Bühne eher wie die Rezeptionistin eines biederen Vier-Sterne-Hotels.
Der zweite Blick durch die Genderbrille bleibt allerdings matt. Ausgerechnet im Genderzeitalter steht die Geschichte einer ins mörderische gesteigerten Emanzipation bedeutungslos im Raum. Die Nebengeschichten unterdrückter Frauen als Gewaltopfer wirken ornamental. Die Frage von Zwang, Macht und Gewalt bleibt unbeantwortet. Sind die gewaltigen Räume wirklich Herberge der Einsamkeit und Trostlosigkeit? Passt die in Blau getauchte Szenerie zum weißen Herz des mordenden Weibs? Die Welt der Hungrigen und der erotischen Fantasieorgien wird dargeboten, doch was macht die Frau eigentlich darin? Und wieso sind die Männer bloß Marionetten ihrer selbst? Ist der dreifache Mord nun ein emanzipatorischer Akt? Ist die Frau und ihre sexuelle Freiheit zum Scheitern verurteilt? Ist sie nicht viel zu wenig Opfer, um Täter werden zu dürfen? Oder klebt das ganze Aufbäumen von gebrochener Musik und gebrochenem Geschlecht und gebrochener Geschichte nur im frühen 20. Jahrhundert fest? Diese Macbeth bleibt genderseitig indifferent und scheitert an sich selbst.
Die dritte Blick führt eigentlich durchs politische Zielfernrohr, doch das wird in Salzburg irgendwo tief unten im Felsen in einer Waffenkammer verschlossen gehalten. Diese Produktion ist so unpolitisch wie Salzburger Nockerln. Im ersten Moment denkt man – leider. Denn die Oper und ihre Geschichte ist ein politisches Drama in sich selbst. Dmitri Schostakowitsch riskierte mit ihr sein Leben. Als Stalin das Werk am Abend des 26. Januar 1936 in seiner bombensicheren Stahlplattenloge sah, war er entsetzt und diktierte der Pravda persönlich einen legendären Verriß mit dem Titel „Chaos statt Musik“. Die Oper wurde daraufhin in der Sowjetunion verboten, Schostakowitsch drohte das sibirische Lager, einige seiner Weggefährten landeten in Folterkellern und Todeslagern.“ Den 28. Januar 1936 werde ich nie vergessen, dieser Tag ist vielleicht der denkwürdigste in meinem Leben“, schrieb der Komponist, der fortan um sein Leben bangte. Dennoch versteckte Schostakowitsch in seiner Musik immer wieder auf raffinierte Weise die Kritik am Diktator bis zur 9. Sinfonie, in der er das Lied Gustav Mahlers zitierend versteckt, in dem der Esel entscheidet, dass der Kuckuck schöner singe als die Nachtigall. Die ganze Macbeth-Oper ist eine innere Anklage zur Diktatur. Die Emanzipation, die Revolution, die Sehnsucht nach Freiheit und Lust endet in Gewalt und Mord – das ist ihr hoch politisches Zentralmotiv. Der Gesang auf der Bühne wird immer wieder durch Schreien ersetzt. Und die Auflösung des Wohlklangs, des Symphonischen, des Orchestrierten, des Uniformen, des Einparteiischen ist in den dreißiger Jahren der Hitlers und Stalins zutiefst politisch. Die Prawda wirft Schostakowitsch daher auch die Verneinung des sozialistischen Realismus vor: „Er hat sogar die nervös verkrampfte dekadente Musik des Jazz ausgeliehen“. Denn die mochte Stalin so wenig wie Hitler. In ihrer Kasernenwelt brutaler Befehle und der stählerner Ordnung war das Sprunghafte dieser Komposition, das Kreativ-Jazzige just der Spalt, der die Freiheit erblicken ließ. Die Oper „Lady Macbeth“ hat – so klagte die Pravda – „beim bourgeoisen Publikum im Ausland Erfolg. Warum aber lobt das bourgeoise Publikum, dass diese Oper chaotisch und absolut apolitisch ist? Doch wohl nur deshalb, weil das Stück den widernatürlichen Geschmack des bourgeoisen Auditoriums durch seine verzerrte, schrille Musik kitzelt“. Die Oper als sublimer Widerstandsakt – das war Schostakowitschs Macbeth, weil sie die Häresie der Formlosigkeit hörbar werden ließ, weil sie die Lücke abriss, die der Teufel ließ.
Darum hätte man von Salzburg etwas mehr politisches Bewusstsein erwarten können – in Zeiten des Neo-Despotimus zumal. Anderseits ist ja das Unpolitische zuweilen der nachhaltigste Kommentar zur Politik. Das war es bei Schostakowitsch mit dieser Oper – und das ist es mit dieser Produktion in Salzburg. Man nehme also die politische Naivität als Programm zur Freiheit.