Sigmar Gabriel vs. Ursula von der Leyen

Die Verteidigungsministerin wird politisch attackiert wie noch nie. Jede fehlende Schraube eines Hubschraubers wird ihr plötzlich persönlich angelastet. Denn: Hinter den Kulissen hat der Kampf ums Kanzleramt begonnen.

Ursula von der Leyen war lange so etwas wie die Prinzessin der Berliner Republik. Eine Aura von elfenhafter Eleganz und gescheiter Unverbindlichkeit umgab sie. Sie hatte die diplomatische Gabe, unangenehme Dinge so zu verzaubern und klein zu streicheln, bis sie allen gefielen – und jedes ihrer Ämter schien bloß ein Flügeltüren-Durchgang so wie in einem Schloss, wo man von Salon zu Salon schreitet, ehe man endlich Königin geworden ist.

Sie hat es nie anmelden müssen, doch ist sie seit einiger Zeit die gefühlte Kanzlerinnen-Nachfolgerin. Einen besseren Kandidaten hat die CDU einfach nicht. Würde Angela Merkel morgen ein Berliner Ziegelstein auf den Kopf fallen, wäre Schäuble zwar wahrscheinlich ihr Übergangsnachfolger. Doch die derzeitige Losung in der CDU „Je eher, desto Schäuble“ bedeutet auch, dass es später dann eben Ursula von der Leyen werden dürfte.

Bislang dachte man, dass dies die CSU und die (gekränkten) konservativen Bataillone in der Union vielleicht noch zu verhindern wissen. Oder dass Angela Merkel einfach weiter macht – auch nach 2017. Doch beides glauben in Berlin immer weniger.

Vor allem die SPD wähnt sich zur Einsicht gekommen, dass man für 2017 einen Post-Merkel-Wahlkampf zu erwarten habe. Und also beginnen die Sozialdemokraten die potentielle Kanzlerkandidatin der Union frühzeitig und systematisch zu attackieren.

Insbesondere Sigmar Gabriel, der mit einiger Wahrscheinlichkeit selber Kandidat der SPD werden wird, hat offen zum Angriff auf von der Leyen geblasen. Seit Wochen nutzt er jede Gelegenheit, seine potentielle Gegnerin offen bloß zu stellen.

Mit Blick auf die telegenen Auftritte der Verteidigungsministerin ranzt er im Schiffsschaukelbremser-Stil von Gerhard Schröder: Ursula von der Leyen würde wohl auch im Kopierraum des Ministeriums noch pathetisch in die Ferne schauen und sich dramatisch fotografieren lassen. Sie sei eine „Inszenierungsministerin“.

Das war böse, und das sollte böse sein. Gabriel wusste genau, was er mit der Frontalattacke auf seine Kabinettskollegen tat, denn er schmähte sie vor der versammelten SPD-Fraktion, und ließ hinterher die Süddeutsche Zeitung genau informieren. Da las man dann auch noch Gabrieles Finale: „Wenn ich am Kopierer stehe, guck ich runter auf das, was ich kopiere.“

Jeder Tropfen Panzer-Benzin ist plötzlich ein Problem

Gabriels Schlag ins Gesicht von Ursula von der Leyen war das Signal an Partei und linke Publizisten bis hin zu den politisch so köstlich rot beseelten Komödianten der „heute-show“, sich die Verteidigungsministerin nun aber mal vorzunehmen. Jakob Augstein assistiert eifrig auf spiegel.de: „Der einzige Kampfeinsatz, der für Ursula von der Leyen wirklich zählt, ist das Fotoshooting.

Ikonografisch kann sie es inzwischen locker mit dem Minister-Model Guttenberg aufnehmen.“ Eine Kanonade von Kritik und Häme geht seither über sie nieder. Jeder Tropfen Benzin, der beim Panzertanken auf den Boden fällt, ist plötzlich ein Problem für die Berlin-Prinzessin. Serienweise werden Geschichten über tatsächliche und angebliche Probleme bei der Bundeswehr kolportiert. Bundeswehr-Bashing ist das große Herbstvergnügen der Berliner Publizistik – weil sie die Ministerin damit verdeckt oder direkt treffen wollen.

Die Mängelliste der Bundeswehr

Kampfhubschrauber
Von den 31 TIGER-Kampfhubschraubern stehen dem Heer derzeit nur 10 zur Verfügung

Transporthubschrauber
Nur 8 von 33 NH90-Transporthubschrauber sind aktuell einsatzbereit

Kampfjets
Der sogenannte Buchbestand an EUROFIGHTER-Kampfjets liegt bei 109, davon sind theoretisch 74 verfügbar, aber nur 42 einsatzbereit.

Marine
Bei der Hubschrauberflotte der Marine sieht es besonders düster aus. Nur 3 von 15 Hubschraubern des Typs SEA KING könnten derzeit abheben. Bei den SEA LYNX sind es 4 von 18.

Fahrzeuge
Bei allem, was Räder hat, sieht es besser aus. Von den 180 gepanzerten BOXER-Transportfahrzeugen könnten aktuell nur 70 in einen Einsatz geschickt werden.

Was die Opposition derzeit nicht fertig bringt, macht die Regierung nun also selber: Ein konzertiertes Mobbing einer Ministerin. Selbst SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der eigentlich besonnen den Laden mit seinem CDU-Pendant Volker Kauder zusammen hält, macht eifrig mit. „Die Verteidigungsministerin muss jetzt Managementqualitäten beweisen und die Bundeswehr mit den vorhanden Mitteln fit machen“, meint er, sie anweisen zu müssen.

Thorsten Schäfer-Gümbel, der SPD-Chef Hessens, wird gar richtig frech: Das „Delta“ – als klaffende Lücke – zwischen „Anspruch und Wirklichkeit“ sei bei der Ministerin größer geworden. Von der Leyen solle „weniger Fototermine“ machen. Sie solle sich „mehr mit dem Handwerk“ beschäftigen. Das Konzept ihrer Arbeit sei es, „sich selbst zu inszenieren“, rügt Schäfer-Gümbel in dieser Woche nach einer Telefonschaltkonferenz der SPD-Spitze – in Vertretung der erkrankten Generalsekretärin Yasmin Fahimi im Willy-Brandt-Haus.

Der beginnende Kampf um die Kanzlerkandidatur

Damit ist die Fortsetzung des Mobbing von höchster Stelle aus der Spitze der Bundespartei gewollt. Die Attacke auf von der Leyen wächst sich langsam zur Koalitionskrise aus und bringt Kauder immerhin so in Rage, dass er die SPD nun über die „Schwäbische Zeitung“ offen auffordert, die „unsachlichen persönlichen Angriffe“ auf die Verteidigungsministerin gefälligst zu unterlassen.

Interessant am Mobbing ist freilich, wie bitter ernst die Sozialdemokraten – und insbesondere Sigmar Gabriel – die potentielle Kanzlerkandidatin nehmen. Gabriel hat schon vor einiger Zeit erkannt, dass die SPD gegen Angela Merkel nie wird gewinnen können, man müsse überwintern und auf die Nachfolge warten.

Wenn nun aber in von der Leyen eine zweite Unionsfrau heranwachse, die auf para-politischem Feld große Popularität erringe, dann müsse man das früh und nachhaltig bekämpfen. Dass er den Angriff persönlich eröffnet und führt, zeigt dass es ihm dabei auch um sich selbst geht. Wie Gerhard Schröder einst am Zaun des Kanzleramtes rüttelte und rief „Ich will hier rein“, so rüttelt Gabriel jetzt am Zaun des Verteidigungsministeriums und ruft: Sie soll hier raus. Hinter dem Bundeswehr-Bashing steht also nichts weniger als der beginnende Kanzlerkandidatenkampf für 2017. Nach jetzigem Stand lautet der: Sigmar Gabriel gegen Ursula von Leyen – im Kopierraum der Macht.

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