Für Heiko Maas wird es ungemütlich

Die CSU landet kurz vor Regierungsbildung noch einen Coup. Dorothee Bär wird Staatsministerin für Digitalisierung. Warum sich Heiko Maas wegen “Digi-Doro” nun warm anziehen muss.

“Meine neue Aufgabe ist riesig und schwer. Wenn sie leicht wäre, hätte es ja auch ein Mann machen können”, tönt Dorothee Bär im WDR und lacht dabei. Die neue Digitalministerin kann frech sein. Vor allem aber ist sie froh – wie die ganze CSU derzeit. Während sich die SPD gequält in die Große Koalition schleppt und die CDU sich unter Wert hineinbequemt, herrscht in München schon Groko-Oktoberfeststimmung.

Die CSU hat clever gepokert und unverschämt viel erreicht: Obergrenze, Mütterrente II, Baukindergeld, Infrastrukturmilliarden, ein Superministerium, Innen, Bau, Verkehr, Entwicklung, dazu den Herrgottswinkel Heimat ministrabel gemacht. Und am Ende gelingt den Bayern noch ein Coup. Auf dem kleinen Dienstweg mit der Kanzlerin bekommt die CSU sogar eine Fast-Ministerin dazu. Dorothee Bär soll Staatsministerin für Digitales werden, angesiedelt im Kanzleramt. Ein CSU-Spitzenpolitiker meint verblüfft: “Wir haben nur 6,2 Prozent der deutschen Wählerstimmen bekommen, aber nun ein Vielfaches davon an Gestaltungsmacht in Berlin!”

Die CSU-kritische Wochenzeitung “Die Zeit” analysiert geradezu bewundernd: “Mit der Hoheit über das Bauen, den Verkehr und nun auch noch die Digitalisierung nistet sich die CSU gewissermaßen ein im Skelett des Staates. Die Christsozialen sitzen, wo es Geld zu verteilen gibt. Auch das ist ein jahrzehntealtes Erfolgsgeheimnis der Bayern.” Seehofer spricht lieber von den “Investitionsministerien”, die man sich gesichert habe. In der CDU, wo man wenigstens den Digitalminister gerne selber gestellt hätte, kursiert der bittere Witz: “Wenn die Regierungsbildung noch einen Monat länger gedauert hätten, käme auch der Kanzler noch aus München.”

Der strategische Kopf hinter dem CSU-Machtpoker ist Alexander Dobrindt. Seitdem er die politischen Geschicke der CSU in Berlin steuert, sind die Bayern so offensiv unterwegs wie seit den Tagen von Franz Josef Strauß nicht mehr. Nun ist es ihm sogar gelungen, seine Vertraute Bär im Kanzleramt zu positionieren. Sie war seine Stellvertreterin als CSU-Generalsekretär und sie war seine Staatssekretärin, als er Verkehrsminister war. Nun freuen sich beide unverhohlen über den Digitalcoup.

“Instalover” und süchtig nach Pink

Denn dass Deutschland endlich einen Digitalminister braucht, ist seit langem eine Forderung aus Industrie und Wissenschaft. Die CSU hat nun über Dorothee Bär einerseits und das Verkehrs- und Digitalministerium andererseits die politischen Fäden der Zukunftsindustrie in der Hand. Die Landeshauptstadt München dürfte mit ihrer Digital-Industrie gezielt davon profitieren.

Die Reaktionen aus der Digitalwirtschaft auf die Berufung Bärs sind überwiegend positiv. Der Bundesverband Deutsche Start-ups sieht eine Forderung der Wirtschaft erfüllt: “Dorothee Bär ist eine ausgezeichnete Wahl als Digitalministerin. Sie hat gute Kontakte in die Digitalszene, verfügt über ein großes Fachwissen und ist eine glaubhafte Digitalpolitikerin. Wir freuen uns, dass der Ruf nach einer Digitalministerin aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, gehört wurde”, erklärt Florian Nöll, Vorsitzender des Start-up-Verbands. Der Bundesverband hatte eine Petition gestartet, die von zahlreichen Organisationen und Verbänden unterstützt wurde.

Der Vorstandsvorsitzende des Internetverbands Eco, Oliver Süme, hofft, “dass sie ihr neues Amt auch dafür nutzen kann, politische Fehlentscheidungen wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wieder rückgängig zu machen”. Bär sei eine “erfahrene Netzpolitikerin, die in ihrer Politik auf die Chancen der Digitalisierung setzt und die aktuellen Herausforderungen und Zusammenhänge in netzpolitischen Fragestellungen bestens kennt”.

Auch der IT-Verband Bitkom lobt Bär und hofft, dass das “regierungsseitige Vakuum” in der Digitalpolitik nun endlich gefüllt werde. Zuletzt hatte die Bundesregierung auf Anfrage der Grünen zugeben müssen, wie durcheinander die einzelnen Ressorts sich jeweils dem Thema Digitalisierung widmen. In den 14 Bundesministerien beschäftigen sich demnach 482 Mitarbeiter verteilt auf 244 Teams in 76 Abteilungen mit digitalen Fragen. Bär soll nun einiges davon zusammen führen.

In der Szene gilt sie als digitaler Politprofi. In den Koalitionsverhandlungen mit der SPD war die 39-Jährige die Verhandlungsführerin der Arbeitsgruppe Digitales. Sie ist Vorsitzende des CSU-Arbeitskreises für Netzpolitik (CSUnet) und gut in der Digitalwirtschaft vernetzt. Sie kämpft auch für Themen, die bislang in der Bundespolitik kaum Gehör finden, etwa offensiv für die Videospiel-Branche. Das liegt auch daran, dass sie als eine U40-Politikerin ganz anders kommuniziert als die Generation Seehofer. Auf ihrer Instagram-Seite beschreibt sie sich selbst als “Instalover, Mama, Politikerin, Gamerin, Jägerin, Fränkin, Bayerin, Teilzeit-Berlinerin”, die süchtig nach “ganz viel pink” sei. Auch auf Twitter ist sie so rege wie kaum ein anderer Politiker in Deutschland: 25.800 Tweets und mehr als 69.000 Follower. In der Szene wird sie zuweilen “die Digi-Doro” gerufen.

Sie pflegt eine frische, direkte, digitale Schnellsprache und kanzelt den Außenminister der eigenen Regierung, wenn auch der anderen Partei, schon mal mit einem “Aufgabe verfehlt, setzen sechs”, ab. Explosiv dürften daher die Debatten der neuen Digitalministerin mit dem SPD-Justizminister Heiko Maas werden. Denn Bär gilt als vehemente Gegnerin des Maas-Gesetzes gegen Hasskommentare im Internet. Als Anfang des Jahres, kurz nach Inkrafttreten des NetzDG, mehrere Twitter-Accounts blockiert und Tweets gelöscht wurden, stellte Bär im Schulterschluss mit den Digital- und Medienverbänden das gesamte Gesetz infrage. “Die Meinungsfreiheit gerät zunehmend unter die Räder”, kritisierte Bär. Das Gesetz schieße nicht nur über das Ziel hinaus. “Es verstößt gegen die Verfassung.” Bär verlangte eine “unverzügliche und breit angelegte” Experten- und Verbändeanhörung, um das Gesetz zu evaluieren, ja eigentlich wieder abzuschaffen. “Dass sich autokratische Staatschefs das Gesetz interessiert angeschaut haben, ist ja nicht gerade eine Empfehlung”, merkte sie spitz an. Kurzum: Für Heiko Maas wird es ungemütlich, zumal der auch noch ein Mann ist.

Quelle: The European

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