Die SPD sucht einen Vorsitzenden

Die SPD wird von einem Krisentrio geführt. Doch keiner der drei will Parteivorsitzender werden. Stephan Weil aber auch nicht. Ebensowenig Olaf Scholz, der damit die Chance verpasst, Führungsstärke zu zeigen. Die Chancen für ein Comeback Gabriels steigen.

Keiner will den Job machen. Die SPD sucht einen Vorsitzenden, doch alle denkbaren Kandidaten winken demonstrativ ab – und vertiefen so die Krise der Partei. Bis zur Wahl der neuen Führung soll die SPD nun von einem Not-Trio aus Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel geführt werden. Alle honorig, aber keiner der drei steht danach für den Parteivorsitz zur Verfügung. Die Verweigerung der drei soll demonstrieren, dass hier keiner eigene Karriereinteressen verfolgt. Doch in Wahrheit schadet das der SPD weiter. Die Partei ist von den vielen Intrigen und Königsmorden so traumatisiert, dass jede Führungsbereitschaft schon ein Makel sein könnte. Und also mimen alle jetzt die Eunuchen der Macht.

Dabei könnten sich viele SPD-Mitglieder Malu Dreyer als eine neue Vorsitzende gut vorstellen. Dreyer ist beliebte Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, sie kann Mehrheiten selbst gegen die CDU mobilisieren, sie ist abwägend wie konziliant und verfügt über ein politisches Kapital besonderer Güte – sie gilt wie Angela Merkel als uneigennützig und uneitel. Dreyer ist das Gegenteil einer Spalterin, sie könnte die tief verwundete Partei versöhnen und ihr neues Selbstbewusstsein einhauchen. Doch ist Dreyer an Multipler Sklerose erkrankt, das Gehen fällt ihr zusehends schwer, sie braucht immer wieder einen Rollstuhl und der Spitzenjob mit vielen Reisen ist da womöglich zu viel. „Das ist tragisch, denn sie ist die Wunschkandidatin der Mehrheit“, sagt ein Präsidiumsmitglied in Berlin.

Scholz tänzelt leise nebenher

Während Thorsten Schäfer-Gümbel aus der Politik ausscheidet und im Herbst einen hoch dotierten Job als Arbeitsdirektor bei der bundeseigenen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit antritt (bequemerweise muss er dafür nicht einmal aus Hessen wegziehen), wundert sich mancher in Berlin, dass Manuela Schwesig ebenfalls keine Ambitionen auf den Parteivorsitz anmeldet. Ihr Platz sei in Mecklenburg-Vorpommern, lässt sie verbreiten.

Schwesigs Absage hat womöglich – wie bei manch anderem Kandidaten – einen taktischen Grund. Im Herbst stehen in Ostdeutschland wichtige Landtagswahlen an (Thüringen, Sachsen und Brandenburg). Überall werden der SPD desaströse Wahlergebnisse vorhergesagt. Niemand möchte dafür die Verantwortung übernehmen. Eigentlich war es der Plan der Nahles-Gegner, ihr diese Niederlagen noch anzuhängen und sie erst hernach zu stürzen. Nun hat Andrea Nahles dieses Kalkül zunichtegemacht und damit ihre potenziellen Nachfolger auf dem falschen Fuß erwischt.

Das gilt auch für die die beiden männlichen Favoriten: Stephan Weil und Olaf Scholz. Auch sie haben bereits abgesagt. Für den Ministerpräsidenten von Niedersachsen ist das kein Problem, er spielt noch nicht in der Berliner Liga, kann warten und muss derzeit kein unnötiges Risiko eingehen. Bei Scholz sieht das anders aus. Er ist Vizekanzler und Finanzminister und bereits gefühlter SPD-Kanzlerkandidat. Wenn er nun im Moment der größten Krise seiner Partei leise pfeifend zur Seite tänzelt, anstatt Verantwortung zu übernehmen und sich als Krisenmanager zu bewähren, wird er nie Kanzler. Scholz nimmt durch die Abstinenz als Einziger in der SPD-Führungsriege richtig Schaden.

Damit entsteht die groteske Situation, dass sich in der SPD verwegene Optionen Bahn brechen könnten – vom Comeback eines Martin Schulz bis zur Verzweiflungsverjüngung Kevin Kühnert.

„Die Zeit der Hinterzimmer muss endlich vorbei sein“

Da das Machtvakuum mit jeder Stunde, da niemand Vorsitzender werden will, die SPD weiter beschädigt, werden nun allerlei Kollektivlösungen diskutiert – vom Trio bis zur Doppelspitze. Die Angst der SPD vor einer völligen Enteignung durch die Grünen scheint so groß, dass man sogar deren Führungsmodell als kopierenswert ansieht. Prominentester Befürworter ist SPD-Außenminister Heiko Maas, der sich zugleich für eine Urwahl aussprach: „Die Zeit der Hinterzimmer muss endlich vorbei sein“, sagte Maas. „Wir brauchen eine neue Parteispitze, die eine möglichst breite Unterstützung unserer Mitglieder hat.“

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller plädierte für eine Doppelspitze. „Das ist etwas, womit die anderen offensichtlich ganz gut arbeiten können“, sagte Müller am Rande der Vorstandssitzung. Die SPD müsse über ein Team nachdenken. „Nur zu glauben, ein neuer Kopf wird es schon richten, ist offensichtlich eine fatale Fehlentscheidung.“ Ebenso brachte der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig eine Doppelspitze ins Spiel, „wenn es mehr Kandidierende gibt, gerne auch mit einer Urwahl“. Die SPD könne „gerne ein bisschen lebendiger werden“, sagte Dulig.

Sollte es tatsächlich zu einer Urwahl kommen, hätte Sigmar Gabriel plötzlich lebhafte Chancen auf ein Comeback – als eine Art Friedrich Merz der SPD. Beide sind rhetorisch stark, beide verkörpern die gute, alte Volksparteiensstärke und ein angriffslustiges Profil. Und sie schätzen einander sogar. Vielleicht treten am Ende sogar beide bei der nächsten Bundestagswahl gegeneinander an.

Quelle: The European

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